Auslöser für meine Arbeiten ist nicht selten ein diffuser Antrieb: zu malen, zu zeichnen, mit Materialien zu arbeiten, Beobachtungen aufzuzeichnen. Dabei entstehen sowohl Arbeiten, in denen z.B. ein bestimmter Gegenstand oder Motivbereich eine Rolle spielt, als auch solche, in denen auf Gegenständliches verzichtet wird.
In Zeichnungen und Malerei mit Gegenstandsbezügen, häufig aus den Bereichen Natur und Dingwelt, interessiert nicht ein Detailrealismus, sondern das als charakteristisch Empfundene, das Körperhafte, oft auch Rätselhafte, manchmal das Archaische, Kraftvolle. Oft erscheinen Dinge oder Motive vereinfacht dargestellt oder auch als Einzel-Objekte in der Fläche wie inszeniert.
In der Malerei, besonders in den Bildern mit Landschaftselementen, treten andere Merkmale in den Blickpunkt: Licht und Schatten, Dunkelheit, eine besondere Stimmung. Oft wird der Blick auf Unbeachtetes im Alltäglichen gelenkt, durch Nahsicht vereinfacht und verfremdet. Zeichnungen und malerische Arbeiten mit Gegenstandsbezug entstehen teilweise „vor Ort“, mit direktem Blick, aus der Erinnerung an Gesehenes oder auch nach Fotografien, eigenen oder gefundenen. Bevorzugte Zeichen- und Malmaterialien sind weiche Farbstifte und Ölkreiden, Kohle, Graphit, wie auch Tusche und Acrylfarben. Diese Materialien ermöglichen zügiges Arbeiten. Sie lassen sich auch gut mit Mischtechniken kombinieren – ein Verfahren, das mir sehr entgegenkommt.
In den malerischen Arbeiten ohne konkreten Gegenstandsbezug gewinnt die Farbe in ihren Farbwerten, ihrer Materialität und Wirkung einen anderen Stellenwert. Einfache Formen und Strukturen, das Gebaute in der Konstruktion, das Spiel zwischen Regel und Verstoß, Ordnung und Kontrast, das Experiment mit unterschiedlichen Farbmaterialien und wechselndem malerischen Auftrag vermitteln Wirkungen von Ordnung und Ruhe, „Schönheit“ durch Gegensätzliches wie Bewegung und Ausgleich. Ausgangspunkte dieser Arbeiten sind oft intuitiv, auch wenn sie teilweise geplant erscheinen. Geplant ist hier das Handlungskonzept, die Beschränkung auf Format, Farbigkeit, Materialien, die Möglichkeit mit Variationen zu arbeiten.
In den ungegenständlich angelegten Zeichnungen steht Bewegung als innere und äußere Bewegung im Zentrum. Kleine Formate, weiche Farbstifte werden verwendet. Im schnellen und unmittelbaren Zeichenprozess, im Widerstand von Material und Zeichnerin tritt Zeichenhaftes in Formen und in der Fläche zutage.
Aktuelle malerische Arbeiten knüpfen in Teilen an vorherige freie Arbeiten an. Die Wahl größerer Bildformate mit anderen Untergründen, die Auswahl starker Farbigkeit, die Konzentration auf besonders flüssige Farben, ein großflächiger Farbauftrag führen auf andere Wege. Diese Arbeiten sind ohne direkte Vorskizzen entstanden. Ein zu Beginn gewähltes Farbspektrum ist ebenso wichtig wie Schnelligkeit und Gestisches, Wirkung und Strahlkraft der Farbe. Vor allem: Bewegung! Die anfangs intuitiv notierten Farbbewegungen und Flächen als erste Setzungen werden zu einem späteren Zeitpunkt und aus einer gewissen Distanz betrachtet, weiterbearbeitet. Die Schnelligkeit im Arbeitsprozess, die Arbeit mit den Materialien, die auf dem Boden liegen, das Setzen und Überarbeiten von Farbe verlangt ein Ausbalancieren zwischen Gegensätzlichem und ist Teil der Faszination des eigenen Schaffens.
Dass sich in einigen Bildern Bezüge zu Naturhaftem oder Erlebtem vermitteln, ist nicht geplant, erscheint aber nicht ungewöhnlich.
Mit Bildern, Fotos, Abbildungen, Papieren, Drucksachen aller Art lässt sich in Collagen arbeiten. Vor allem, weil sie schon vorhanden sind! Fülle und Präsenz einer Vielzahl von Bildern aus Alltag, Medien, Fotografie, Kunst etc. irritieren und können faszinieren. Sammeln, auswählen, kombinieren, kleben, zerreißen, zerstören, überkleben, übermalen: in der Collage lassen sich Bilder als Fundstücke banaler Alltagswelt vielfältig kombinieren und neu zusammensetzen. Beim Arbeiten mit vorgefundenen Materialien reizen mich Möglichkeiten der Verarbeitung wie auch der Umgang mit Vorhandenem. Für den Arbeitsprozess sind besonders Auswahl und eigene Verfahrensweisen der Bearbeitung von Bedeutung. Gewählte Ausgangsbilder müssen herausfordern: thematisch, farblich, von ihrer Struktur her. Verarbeitung bedeutet: das Chaos ordnen, Strukturen und Formen, Materialien und Farben von eingesetzten Materialien zu beachten, ein Gerüst schaffen. Malerische und zeichnerische „Reste“ als Fragmente malerischer Arbeiten und Fotografien werden mit diversen Abbildungen kombiniert. Das Spielerische und Experimentelle im Arbeitsprozess, die Möglichkeit Zufälliges und Geplantes wie Erfundenes kombinieren zu können, das Chaos der Bilder bändigen und sprechen zu lassen, Bekanntes verfremden und mit anderem Blick zu entdecken, das fasziniert mich.
Gerlinde Liebing